ERNST JANDL

Gedichte

Hier können Sie sich folgende Gedichte von Ernst Jandl als PDF downloaden. Sie finden alle Gedichte in der Werkausagabe „Werke in sechs Bänden“.

Ernst Jandl und Ernst Jandl

»Notizen vom 17.10.1978«

dem todestag von jean amery

manchmal habe ich eine solche wut
daß es für keinen gut ist bei mir zu sein
grad dann bin ich nicht gern allein
denn wie bring ich meine wut los

das versteht jeder
denn jeder hat schon einmal eine wut gehabt
und manche haben auch verstanden
daß einer mit seiner wut nicht gern allein ist

die sind dann rasch weggegangen
oder sie sind bei ihm geblieben
vielleicht weil sie ihn lieben
aber sicher um ihm zu helfen
(manche sind dabei draufgegangen)

»Oh, i hob's ja«

oh, i hob’s ja / ned gwussd
dos i di nimma / mea sen wea
liaba Hans / des is
fia me a gaunz grouss mallea

oowa wauni jetz / schreibm dua
an briaf, a gedicht
dua r is imma / mid ana füfeda
de wos i / fun dia hob

zua r an rundn / gebuatsdog
wia ma bei uns / monchmoe sogt
do host du ma / de gschenkt
‘s is wos drin / des denkt

waun mai kopf schoo / gaunz laar is
und i de feda / in d’ haund nimm
heari / a schdimm drin
de wos ma soggd / wos i schreim kennt

o du liawa / Hans Weigel
mia hom jetzt roodgwaande / äägl
zoppln hinta dia drein
hoin de olle / amoe ein.

»Frei und schlecht«

ich bin frei und mir ist schlecht.
warum sollte mir nicht schlecht sein?
freilich sollte mir schlecht sein, und es ist mir auch schlecht

es könnte mir allerdings auch nicht schlecht sein.
dann würde ich sagen: ich bin frei
und mir ist schlecht.

Ernst Jandl und Friederike Mayröcker

»Ach, und ich dachte«

Ach, und ich dachte
wenn ich dich liebe
Könnte ich sein
Dürfte ich leben -
Narren denken so!
Schurken denken so!

1948    Ernst jandl

»Da kommen sie gelaufen«

Wenn ein Hund verreckt auf der Straße,
So ein Hund, der nur ein Haufen Dreck ist,
Da kommen sie gelaufen:
Da will jeder etwas wissen
Da will jeder etwas besser wissen:

Was man hätte nun sollen.
Was man jetzt noch tun kann.
Was man tun soll mit den Leuten,
Die ihn hier verrecken lassen
Mitten auf der Straße, armes Tier.

Da kommen die Prediger,

Die überall sein müssen,
Die über dabei sein müssen,
Die überall mitreden müssen.
Da kommen die alten Weiber,

Die immer beten müssen,
Die immer Rosenkranz beten müssen,
Die immer Tränen drücken müssen,
Aus Zitronengesichtern.

Ganz langsam verreckt der Haufen Hund
Und der Rauch steigt blaß auf
Wie von warmem Mist
Auf gefrorenem Pflaster.

Wenn ein Mensch auf der Bank liegt,
Plattgedrückt, und der Kopf hängt über den Rand,
Und die Augen sind halb offen und schwarz
Von fliegen, und die Haut ist ihm zu groß,
Sein Gesicht hat keine Wangen, sein Rock
Eine Uniform, die keiner mehr anhat,
Nur einer auf der Band, der den Atem Lang anhält:

Wenn einer auf der Bank so
Den Atem lang anhält,

Kommen sie nicht gelaufen. Da will keiner etwas wissen,
Da will keiner etwas besser wissen:

Was man hätte tun sollen - aber was nützt das?
Was man jetzt noch - aber jetzt kann man nicht.
Was man tun soll mit den Leuten - aber wer sind die Leute?

Ernst Jandl

»er: es sei«

er: es sei

knapp nach acht erst   (sie gähnt)
und sie scheine müde

sie: ein drang zu gähnen

doch kein zeichen
für müdigkeit

er: daß sie zeitlich

nie
koordination gefunden hätten

sie: wann denn nun

eigentlich seine
beste arbeitszeit sei

er: daß sie das

nach all den jahren
noch nicht wisse

sie: sie vermute ja

abends vielleicht
doch wenn er dann getrunken habe

er: er selbst

könne keine bestimmte
zeit angeben

sie: sie wolle ja

alles bloß
rücksichtsvoll tun

er: daß rücksicht

das bewußtsein davon
ein hindernis sei

sie: sie verstehe es

aber schließlich
lasse er ihr auch ihre zeit

Ernst Jandl und die Familie

»Mutters früher Tod«

mutters früher tod
hat mich zum zweiten mal geboren

mit eselsohren
und der langen nase des pinocchio

so findet man mich leicht
ich bin verloren

Ernst Jandl und der Krieg

»Vor der Entscheidung«

Das große Tor ist zu.
In finstrer Ruh
Oed und verlassen
Liegen die Gassen
Oellaternentran
Träufelt zur Erde.
In mir fängt toben an
Wie Huftritt scheuer Pferde.
Zu ist das Tor.
Nun Mut empor!
Die Hand zuckt vor
Sinkt nieder
Greift die Klinke wieder.
Wild tost das Herz
Das Tor reisst auf
Ein zager Schritt
Ein schneller Tritt
Schneidender Schmerz
Die Hand krampft zitternd
Um die Schnalle:
Entscheidung falle!

3. März 1943      Ernst Jandl

»Kot verkrustet«

Kotverkrustet, ausgemergelt,
wankt in wundenmüdem Tritt
graues Haar durch graue Straßen
und ich wanke mit . . . . . .

Lippen, schmerzensmüd zerbissen
Haar zerrauft und stur der Blick,
lumpeneingehüllt, zerrissen -
stumm wanke ich mit . . . . . .

Weiter geht es. Endlos ewig
pulst der gleiche dumpfe Schritt
durch die Menschen aller Zeiten
Doch ich - geh nicht ewig mit.

Februar 1944      Ernst Jandl

Ernst Jandl und das Experiment

»Manifest«

Wir protestieren mit allem nachdruck
gegen das makabre kasperltheater
welches bei wiedereinführung einer
wie auch immer gearteten wehrmacht
auf österreichischem boden
zur aufführung gelangen würde...

Wie alle haben noch genug
vom letzten und -
diesmal sei es ohne uns!!

Es ist eine bodenlose frechheit
eine unverschämtheit sondersgleichen
zehn jahre hindurch
antimilitärische propagande zu betreiben
scheinheilig schmutz und schund zu jaulen
zinnsoldaten und indianerfilme
(noch kleben die plakate ...)
als unmoralisch zu deklarieren -
um dann
im ersten luftzug einer sogenannt
endgültigen freiheit
die kaum schulentwachsene jugend
an die dreckflinten zu pressen!
das ist atavismus!!!
das ist Neanderthal!!!
Das ist vorbereitung
zum legalisierten menschenfressertum!!!

Wir rufen euch alle auf:
wehrt euch gegen diese Barbarei!
lasst euch nicht durch radetzky-
deutschmeister und kaiserjägermarsch
aug und ohr auswischen ...
pfeift auf den lorbeer...
und lasst ihn den linsen!!
denkt daran
welche ehre es für Österreich
bedeuten würde
bliebe es wie bisher
der einzige staat der welt
der diese unsägliche trottelei
den anderen dümmeren überlässt!!
genau so wie sich der kannibalismus
der urmenschen und höhlenbewohner
überlebt hat
muss nun endlich auch die soldatenspielerei
der vergangenheit überantwortet werden!!

(Jandls Manifest gegen die Wiederbewaffung Österreichs, 1955)

»der künstliche baum«

fruchtfruchtfrucht fruchtfruchtfrucht

fruchtfruchtfrucht frucht frucht

frucht fruchtfruchtfrucht

frucht fruchtfrucht

frucht frucht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

fracht

frucht frucht

frucht fruchtfrucht

frucht fruchtfruchtfrucht

fruchtfruchtfrucht frucht frucht

fruchtfruchtfrucht fruchtfruchtfrucht

(Gedicht in »der künstliche baum«)

»voyeur«

schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun
schaun
träune sind
schäune
schän dich
schän dich
traun ist
schaun

(in: »der künstliche baum«)

Ernst Jandl und die Musik

»zweierlei handzeichen«

ich bekreuzige mich
vor jeder kirche
ich bezwetschkige mich
vor jedem obstgarten

wie ich ersteres tue
weiß jeder katholik
ich ich letzteres tue
ich allein

(In: Laut und Luise, Bd. 2)

»sieben kinder«

wieviele kinder haben sie eigentlich? - sieben
zwei von der ersten frau
zwei von der zweiten frau
zwei von der dritten frau
und eins
ein ganz kleins
von mir selber

(In: dingfest, Bd. 5)

»Glückwunsch«

wir alle wünschen jedem alles gute:
daß der gezielte schlag ihn just verfehle;
daß er, getroffen zwar, sichtbar nicht blute;
daß, blutend wohl, er keinesfalls verblute;
daß, falls verblutend, er nicht schmerz empfinde;
daß er, von schmerz zerfetzt, zurück zur stelle finde
wo er den ersten falschen schritt noch nicht gesetzt -
wir jeder wünschen allen alles gute

(in: der gelbe hund, Bd. 8)